"Adalbert von Chamisso hat einmal eine wunderbare Novelle geschrieben: „Die Kreuzesschau“. Ein Pilger geht auf einem steinigen Wege in der Sonnenhitze, mit einem Kreuz beladen. Es wird ihm schwer und immer schwerer, und er möchte es abwerfen. Dann sinkt er in einen tiefen Schlaf. In dem Schlafe hat er einen wunderbaren Traum. Er sieht ein helles Licht in einem großen Saale, und Gott steht vor ihm. Und in dem Saale ist eine Unmenge von Kreuzen, alle die Kreuze, die seit Anfang der Welt von Menschen getragen werden mußten. Da spricht der Pilger zu Gott: „Mein Kreuz ist so schwer, ich trage es schon 60 Jahre lang. Ich bin am Ende meiner Kraft. Ich weiß ja, daß man ein Kreuz tragen muß, aber könntest du mir nicht ein anderes geben?“ „Siehe hier,“ sagt Gott, „hier sind Kreuze. Suche dir eines aus!“ Und der Pilger sucht und sucht, er prüft, er hebt die Kreuze, er probiert sie, aber er kann keines finden, das ihm angemessen ist. „Ja, muß ich denn überhaupt ein Kreuz nehmen?“ „Ohne Kreuz kein Heil!“ Also muß er ein Kreuz nehmen. Und in seiner Ratlosigkeit wendet er sich wieder an Gott. Dieser sagt: „Sieh mal hier an der Türschwelle!“ Da greift der Pilger zu, er wägt das Kreuz und sagt: „Es ist zwar ein bißchen schwer, aber ich glaube, das könnte ich tragen.“ „So nimm es!“ sagt Gott. Er nimmt es, Und da stößt er einen Schrei aus, denn es war das Kreuz, das er abgelegt hatte."
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